Screen2.0

 
 
 

archive // 2005.06.14 09:09:00 [hh]

Interview mit "Xyle scope"-Autor Jürgen Schweizer: „Befruchtung von Technologie und Kreativität ist ein wichtiger Teil unserer Philosophie“

Jürgen SchweizerMit Jürgen Schweizer, Co-Autor des CSS-Tools "Xyle scope" (wir berichteten) und Mitbegründer des Mössinger Software-Startups Cultured Code sprach "Screen2.0" über die Hintergründe des bemerkenswerten Mac-Tools für MacOS X, über die Perspektiven von Web-Software und über den „Master-Plan“ des Unternehmens.

Screen2.0: Die Idee, einen Web Browser mit einem CSS Inspector zu integrieren, ist ein sehr interessanter Ansatz für Web-Entwickler. Wie kamen Sie denn auf die Idee von "Xyle scope"?

Jürgen Schweizer: Das ist eigentlich eine ganz natürliche Sache, wenn man (X)HTML und CSS als eine Einheit auffasst. Der CSS-Autor ist ja ständig damit befasst, dafür zu sorgen, dass für jedes HTML-Element die richtigen CSS-Stilregeln vom Browser herausgesucht und kombiniert werden, um so zum Beispiel die Formatierungsbox dieses Elementes zu kontrollieren. Der CSS-Designer muss diese drei Dinge ständig zueinander in Beziehung setzen. Wir wollten einfach ein Tool schaffen, dass das Zusammenwirken dieser Bereiche in möglichst intuitiver Art und Weise explizit macht.

Screen2.0: Was bedeutet denn der Name "Xyle scope"?

Schweizer: Die integrierte Präsentation von (X)HTML und CSS sollte schon im Namen unseres Programms enthalten sein. "Xyle" ist daher ein Kunstwort aus XHTML und Style. "scope" ist zum Beispiel enthalten in "microscope", "telescope" oder "oscilloscope" und steht für das Sichtbarmachen von Dingen, die man so mit dem bloßen Auge nicht sehen würde.

Screen2.0: Wie können Web-Entwickler, die zum Beispiel Dreamweaver oder GoLive für das Authoring verwenden, heute Ihr Tool in ihren Alltag integrieren?

Schweizer: Da wir selbst diese Tools noch nie bei alltäglichen Arbeit verwendet haben, wäre es vermessen, auf diese Frage direkt antworten zu wollen. Generell wird Xyle scope aber für alle interessant sein, die sich auf das Abenteuer CSS einlassen wollen. Denn die Theorie ist eine Sache, die Praxis aber eine ganz andere. Es gibt keinen schnelleren Weg, zu eigenen Ergebnissen zu kommen, als die Meister zu studieren. Wer das vor hat, wird in Xyle scope sicher einen freundlichen Begleiter finden. Auf der anderen Seite werden alle, die schon einmal ein reines CSS Design entworfen haben, das Rätselraten kennen, wenn eine Sache mal partout nicht richtig funktionieren will. In solchen Situationen lässt sich mit Xyle scope ganz schnell der kritische Punkt finden und den eigenen Code dann mit den Augen eines Browsers betrachten, was zu ganz erstaunlichen Aha-Erlebnissen führen kann.

Screen2.0: Welchen Background haben Sie und womit verdienen Sie derzeit Ihren Lebensunterhalt?

Schweizer: Ich bin von Hause aus Mathematiker und habe einige Jahre an der Uni Tübingen unterrichtet und geforscht. Meine Arbeit dort hat mich auch mit Bioinformatik und graphischer Datenverarbeitung in Kontakt gebracht. Die eineinhalb Jahre, die ich bisher in den Aufbau von Cultured Code gesteckt haben, sind durch Erspartes vorfinanziert. Der Mitgründer von Cultured Code, Oliver Marquetant, ist ebenfalls Mathematiker aus Tübingen und arbeitet zur Zeit noch bei einer großen deutschen Fluggesellschaft.

Screen2.0: Sehen Sie die Tatsache, dass Sie mit Ihrer Start-Up-Company in Deutschland sitzen, eher als Hindernis oder als Chance?

Schweizer: Weder noch. Ich sehe, dass es Mode ist, den „Standort Deutschland“ schlecht zu reden. Wir haben unsere kleine Firma aber gerne hier gegründet. Und sind vor allem von der offenen und warmherzigen Aufnahme durch die deutsche „CSS Szene“ absolut begeistert.

Screen2.0: "Xyle Scope" ist schon ein sehr vielversprechendes Tool. Was dürfen wir denn noch an neuen Ideen aus Ihrem Hause erwarten? Welche weiteren Produkte sind in der Pipeline?

Schweizer: Zu Xyle scope soll sich Xyle pro hinzugesellen, ein vollwertiges Gestaltungswerkzeug für alle Web Designer, die tief in CSS einsteigen wollen. Unser Traum ist es, ein Tool zu entwickeln, das den Vorteil der vollständigen Kontrolle über den Quelltext beim Texteditor basierten Zugang mit der Bequemlichkeit von WYSIWYG Tools verbindet. Ich bezeichne unseren Ansatz gerne als "objektorientiert". Wer eine Zeit lang mit Xyle scope arbeitet, wird, glaube ich, ein Gefühl dafür bekommen, in welche Richtung das gehen wird.

Natürlich werden wir auch Xyle scope kontinuierlich weiter pflegen und uns dabei vor allem den vielfachen Rückmeldungen unserer User annehmen. Xyle pro ist dabei als Upgrade für Xyle scope geplant und wird dementsprechend günstiger für Xyle scope User sein.

Screen2.0: Auf Ihrer Web-Site ist die Rede von dem "Sea of Information" Projekt und einem neuen Grafikformat, das PostScript, Wavelet-Kompression und Fraktale kombiniert. Was genau steckt hinter diesen Projekten?

Schweizer: Wir alle werden jeden Tag mit kleinen Schnipseln von Information überschüttet. Es ist eine schwierige Aufgabe, diese alle festzuhalten. Natürlich wurden viele Antworten auf dieses Problem vorgeschlagen. Es war ja gerade dieses Problem, das Tim Berners-Lee den Anstoss zur Entwicklung des WWW gegeben hat! Wir wollen hier gerne noch einmal zu den Wurzeln des Web zurückkehren und Web Standards, moderne Suchtechniken und unser eigenes Verständnis vom User Interface Design kombinieren, um unseren eigenen Lösungsvorschlag zu machen.

Das Grafikformat ist die Fortführung eines Teils meiner mathematischen Forschungen in den Computerbereich hinein. Es ist keinesfalls nur eine additive Zusammenfügung von Postscript, Wavelets und Fraktalen, sondern ein kompaktes flexibles Format, das obige 3 Vertreter als natürliche Spezialfälle enthält. Bei Wavelets ist dabei nicht die Kompressionsvariante von JPEG2000 gemeint, sondern Techniken, wie sie im modernen Computer-Trickfilm zum Einsatz kommen. Das ist jedoch Grundlagenarbeit. Es steht noch nicht genau fest, wie wir es zuerst einsetzen werden. Erste Pläne sehen einen Grafiksynthesizer vor, der auf spielerische Art die Erzeugung von Texturen und ornamentalen Grafiken erlauben soll.

Screen2.0: Was halten Sie von heutigen WYSIWYG-Tools wie Dreamweaver oder GoLive CS?

Schweizer: Als CSS noch nicht die heutige Reife hatte, waren solche Tools schlicht unersetzlich für Designer, die nicht nur nackte Informationen präsentieren, sondern eine visuelle Identität schaffen wollten. Das hat sich heute geändert, wenn man sieht, was manche Designer mit einem Texteditor und einer Grafiksoftware alles anstellen. Wir sind fasziniert von der Tatsache, dass eine reine Technologie wie CSS in der Lage war, einen neuen Stil des Web Designs zu inspirieren. Und unseren kleinen Beitrag zur gegenseitige Befruchtung von Technologie und Kreativität zu leisten, ist ein wichtiger Teil unserer Philosophie.

Aber um auf WYSIWYG-Tools zurückzukommen: Programme, die für jeden alles bieten wollen, laufen Gefahr, wie ein zu schwer und groß gewordener Schuh empfunden zu werden, der dann beim Laufen mehr behindert als hilft. Wir sehen heute eine neue Chance für schlanke Programme, die sich auf eine bestimme Aufgabe konzentrieren, diese dann aber auch mit einer gewissen Eleganz und Fokussiertheit erledigen.

 

Werbung